Beitrag der Fachstelle für Rassismusbekämpfung
Wir haben für den «Scheinwerfer» mit dem FRB-Leiter Michele Galizia, und mit Hilmi Gashi, Nationaler Sekretär für Migration bei der Gewerkschaft Unia und EKR-Mitglied, über Risiken und Folgen der Corona-Pandemie gesprochen.
Michele Galizia, FRB
Welche Zielgruppen sind besonders verletzlich, um in Folge der Pandemie Diskriminierung zu erfahren? Und warum?
Für Menschen in prekären und irregulären Arbeitssituationen wächst die Gefahr von Ausbeutung. Arbeitslosigkeit und Prekarisierung haben auch Auswirkungen auf den Aufenthaltsstatus und den Einbürgerungsprozess. Deshalb verzichten viele auf staatliche Unterstützung, obwohl sie darauf angewiesen wären. Das wiederum trifft besonders Kinder in armutsbetroffenen oder sozial isolierten Familien. Umso wichtiger ist es, dass die Schule offenbleibt – damit sie als Sozialisationsort funktionieren kann und das Recht auf Bildung gewährleistet wird.
Fahrende Jenische und Sinti haben durch die Krise kaum mehr Arbeitsmöglichkeiten, werden ausgegrenzt und sind auf ihren prekär eingerichteten Stand- und Durchgangsplätzen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt.
Dagegen kann festgestellt werden, dass die Hetze gegenüber bestimmten Minderheiten und die Verbreitung von antisemitischen Verschwörungstheorien im Internet im Vergleich zu Nachbarländern waren in der Schweiz (noch) vergleichsweise schwach ausgeprägt sind.
Staatliche Stellen sind im Lauf der Pandemie mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert – eine davon ist die umfassende Information der Bevölkerung. Wie beurteilt die FRB die bisherige Kommunikationspraxis?
In einer Krisensituation wird die Bringschuld staatlicher Stellen deutlich. Sie dürfen sich nicht damit begnügen, passiv Informationen und Dienstleistungen bereit zu halten. Werden bestimmte Personengruppen nicht erreicht, gefährdet das letztlich alle. Im Gesundheitsbereich konnten auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene Informationen schnell übersetzt und in Zusammenarbeit mit migrantischen Medien und Organisationen flächendeckend verbreitet werden. Leider ist das in anderen Bereichen, besonders auch im wirtschaftlichen, weniger der Fall gewesen. Auch hier muss der Zugang zu Informationen und Unterstützungen für alle gewährleistet werden, um Diskriminierungen und mittelfristig steigende Sozialkosten zu vermeiden.
Welche Daten braucht es, um die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie zu beobachten und gegen sie vorzugehen?
Statistische Daten und Auswertungen sind zentral, damit wir langfristige Folgen erkennen und rechtzeitig Massnahmen ergreifen können. Vorhandene Daten sind daraufhin zu analysieren, ob sich die Lage für bestimmte Bevölkerungsgruppen und/oder Minderheiten verschlechtert. Dazu können etwa Daten zu Einkommen, Arbeitslosigkeit oder Arbeitssituation dienen. Auch die Verteilung in spezifischen Situationen (Selbstständige, Kleinstbetriebe, Arbeit auf Abruf, Temporärarbeit etc.) kann Hinweise liefern. Wichtig ist, dass die Auswertung systematisch erfolgt, regelmässig veröffentlicht und bei Massnahmen, wie etwa den KIP, konsequent berücksichtigt wird.
Die FRB hat in einem Arbeitspapier zusammengetragen, welche Daten in welchen Lebensbereichen benötigt werden, um längerfristige Folgen zu erkennen.
Um Hinweise auf Trends und Erkenntnisse zu den unmittelbaren, vor allem aber zu den langfristigen Folgen der Pandemie aus den Kantonen und Städten, ist die FRB dankbar.
Hilmi Gashi, Unia
Welche Diskriminierungsfallen und -gefahren tun sich mit der Pandemie auf dem Arbeitsmarkt auf?
Migrant*innen arbeiten oft in sogenannt systemrelevanten Branchen, bspw. als Ärzt*innen oder Pflegepersonal, im Transportwesen, der Reinigung oder im Detailhandel. Sie leisten einen enormen Beitrag in der Bekämpfung der Pandemie, vielfach unter schwierigen Bedingungen.
Die Pandemie trifft sie nun doppelt und bedroht Job und Aufenthalt. Einerseits haben viele prekäre Anstellungs- und Arbeitsbedingungen; andererseits ist ihr Aufenthaltsstatus oft direkt an eine Anstellung geknüpft. Hinzu kommen strukturelle und institutionelle Schwierigkeiten, bspw. beim Zugang zu Sozialhilfe oder Arbeitslosenversicherung.
Die Gewerkschaft ist für viele Arbeitnehmende während der Krise eine wichtige Ansprechstelle: Mit welchen Fragen gelangen sie an euch? Inwiefern ist (rassistische) Diskriminierung ein Thema? Was antwortet Ihr?
Die Themen sind vielfältig: Angst vor der Kündigung, Kurzarbeit, Fragen zur Arbeitszeit, aber auch Stress und ungenügende Schutzmassnahmen im Betrieb.
Dahinter stecken reale Existenzängste: Ohne Job oder auf Kurzarbeit wird sofort das Geld knapp. Hier bräuchte es Unterstützung vom Staat; aber viele scheuen die Sozialhilfe, weil sie den Verlust ihres Aufenthaltsrechts befürchten oder eine spätere Einbürgerung nicht gefährden wollen. Wer Sozialhilfe bezieht, gilt als nicht integriert.
Ausländer*innen haben nur Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wenn sie eine gültige Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung haben. Wird die Bewilligung nicht erneuert und stellt die Gemeinde keine günstige Prognose, wird das Arbeitslosengeld nicht bezahlt.
In unserer Beratungstätigkeit suchen wir gemeinsam nach Lösungen. Politisch setzen wir uns – mit vielen anderen Organisationen – dafür ein, dass sich die grundsätzlichen Bedingungen ändern. Das ist dringend nötig.
Welche Daten sind für euch wichtig, um die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie zu beobachten und gegen sie vorzugehen?
Die Folgen der Pandemie werden noch lange spürbar sein; wir dürfen uns da keine Illusionen machen. Umso wichtiger, dass wir die konkreten Probleme auch richtig erfassen. Eine verbesserte Erfassung von amtlichen statistischen Daten zu Rückstufungen der Niederlassungsbewilligungen, pendenten Verfahren bei den Aufenthaltsbewilligungen, Veränderung der Beschäftigungssituation wegen der Krise usw. Was nicht erfasst wird, ist nicht in der Welt. Gerade wenn wir von Migrant*innen und ihren Themen sprechen, ist das ein grosses Problem. Hier müssen wir besser werden.
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