Von Isobel Leybold-Johnson, swissinfo.ch 17. Dezember 2010 – 16:37
Angehörige der grossen Gemeinde von Kosovarinnen und Kosovaren in der Schweiz verlangen Beweise für die Anschuldigungen, wonach Ministerpräsident Hashim Thaci in organisiertes Verbrechen und Organhandel verwickelt sein soll.
In seinem Bericht richtete Europarats-Sonderermittler Dick Marty an die Adresse des Präsidenten von Kosovo sowie an weitere Führer der ehemaligen Befreiungsarmee UCK den Vorwurf, sie hätten Gefangene umgebracht. Martys Bericht war am Mittwoch publik geworden. n seinem Bericht richtete Europarats-Sonderermittler Dick Marty an die Adresse des Präsidenten von Kosovo sowie an weitere Führer der ehemaligen Befreiungsarmee UCK den Vorwurf, sie hätten Gefangene umgebracht. Martys Bericht war am Mittwoch publik geworden. Am Donnerstag wiederholte der Tessiner Ständerat vor internationalen Medien die Vorwürfe: Während des Guerilla-Krieges der UCK gegen die Serben in den späten 1990er-Jahren sei Thaci der Kopf einer mafiaähnlichen Organisation gewesen. Diese soll laut Marty unter anderem gefangene Serben umgebracht und den Leichen Organe entnommen haben. Ebenfalls legt er der Organisation Drogenhandel zur Last. Thaci wies die Anschuldigungen zurück und kündete an, er wolle alle politischen und rechtlichen Mittel ausschöpfen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Unmittelbar nach den Wahlen
„Die Anschuldigungen sind nicht neu. Ich kann nicht beurteilen, ob sie wahr sind oder nicht. Für mich ist aber wichtig, dass sie bewiesen werden können, denn ich verurteile alle kriminellen Aktivitäten, ob sie von einem Bürger meines Landes begangen wurden oder von jemand anderem“, sagt die 28-jährige Ylfete Fanaj, Mitglied des Luzerner Stadtparlaments mit kosovarischen Wurzeln. Bemerkenswert sei vor allem der Zeitpunkt der Publikation von Martys Bericht, unmittelbar nach den Wahlen, in denen Thaci erwartungsgemäss bestätigt wurde. Dabei seien die Anschuldigungen ja schon früher bekannt gewesen, sagt die Sozialdemokratin.
Sorge um den Rufe des Landes
Hilmi Gashi, auch er einer der rund 200’000 Menschen aus Kosovo in der Schweiz, hinterfragt den Mangel an Beweisen. Die kosovarische Gemeinde sei deshalb über den Bericht verärgert und sorge sich sehr um den Ruf ihres Heimatlandes. „Die Situation für die Menschen aus Kosovo ist in der Schweiz nicht einfach“, sagt Gashi. Eben erst habe eine Umfrage ergeben, dass Albaner in der Schweiz nicht sehr beliebt seien. „Sie sagen, dass der Bericht versuche, die Rollen von Opfern und Täter zu vertauschen“, fasst Gashi die Stimmung zusammen. Die Reaktion Serbiens und des serbischen Botschafters in der Schweiz zeigten deutlich, dass sie mit dem Bericht sehr zufrieden seien, selbst wenn die Anschuldigungen nicht bewiesen wären. Gashi erinnert an dieser Stelle an die Verbrechen, welche die Serben unter Slobodan Milosevic im Krieg 1998/99 gegen die albanische Bevölkerung verübt hätten.
Belgrad-Theorie
Einige gehen davon aus, dass der Bericht Martys politisch motiviert sei. Bashkim Iseni, Politikwissenschafter an der Universität Neuenburg und Leiter der unabhängigen Internetplattform albinfo.ch, verweist darauf, dass Marty ein bekennender Gegner der 2008 erlangten Unabhängigkeit Kosovos von Serbien sei. Thacis Versuche, die Beziehungen zu Belgrad zu normalisieren, würden einen Rückschlag erleiden, so Iseni. „Der Bericht bringt einerseits Belgrad in eine starke Position, andererseits geraten serbische Minderheiten unter Druck, die mit Thaci in eine Koalitionsregierung eintreten sollen“, sagt Bashkim Iseni zu swissinfo.ch. Shemi, der seinen Nachnamen nicht nennen will, geht noch einen Schritt weiter. „Ich denke, dass die Serben hinter dem Bericht stehen. Natürlich habe ich keine Beweise, aber ich gehe davon aus, dass die serbische Diplomatie grossen Einfluss auf Dick Marty ausübt.“ Wie dem auch sei: für Politikwissenschafter Iseni ist der Bericht Wasser auf die Mühlen jener, die gegen eine Unabhängigkeit Kosovos waren. Erstmals geriet Thaci 2008 unter Verdacht, als die Schweizerin Carla del Ponte in ihrem Buch Anschuldigungen wegen mutmasslichen Organhandels machte. Kosovaren fragten sich, weshalb del Ponte den Verdacht erst nach Ende ihres Mandats als Chefanklägerin des Kriegsverbrechertribunals für Ex-Jugoslawien äusserte.
Martys Verteidigung
Der Schweizer Sonderberichterstatter räumte am Donnerstag den Mangel an Beweisen für seine Vorwürfe ein. Es sei aber Aufgabe rechtlicher Ermittler, den Anschuldigungen nachzugehen. Marty wies jegliche politische Beeinflussung durch Serbien zurück. Der Europarat als Auftraggeber des Berichts sprach sich ausdrücklich dafür aus, dass Marty in seinen Schlussfolgerungen nationale und internationale Untersuchungen fordern solle. Unterstützung erhielt der Berichterstatter auch von Ueli Leuenberger. Während sechs Jahren hatte der Präsident der Grünen Partei der Schweiz in Genf das Integrationsprojekt einer albanischen Volksuniversität geleitet. „Herr Marty ist ein ausgezeichneter und aufrichtiger Politiker und ein ehemaliger Staatsanwalt. Der Bericht hat gewisse Schwächen, und die Vorwürfe bedürfen der Beweise. All jene aber, die etwas dazu beitragen können, sollen der Wahrheit zum Durchbruch verhelfen“, sagte Leuenberger gegenüber swissinfo.ch.
Demokratisierung notwendig
Dabei könne sowohl die Schweiz wie auch die internationale Gemeinschaft eine Rolle spielen. Auch die kosovarische Diaspora unterstütze die Suche nach der Wahrheit und die Bestrafung der Schuldigen, gleich welcher Seite sie angehörten. Zum Schluss weist Ylfete Fanaj darauf hin, dass im krisengebeutelten Kosovo ein Wechsel nötig sei. „Es braucht Demokratie, die Hohheit von Gesetzen und Menschen, die im Interesse der Gesellschaft handeln.“ Isobel Leybold-Johnson, swissinfo.ch (Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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