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vorwärts – die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 2011 vom 25. März 2011

Solidarität mit Nordafrika statt Wahlkampf

Von Michi Stegmaier

 

Am 16. März fand im Nationalrat eine dringliche Sonderdebatte zur „Krise“ in Nordafrika statt. Im Vorfeld meldeten verschiedenste NGOs ihre Bedenken an. Sie werfen vielen PolitikerInnen vor, auf dem Buckel von Flüchtlingen ein zynisches Wahlkampfcabaret zu veranstalten.

 

Der Westen und die Schweiz haben während Jahrzehnten die diktatorischen Regimes in der arabischen Welt unterstützt und gut damit gelebt. Schliesslich haben wir das Öl und die Petroldollars immer sehr gerne genommen. Statt den Schrei nach Freiheit als einmalige historische Chance zu begreifen, warnen viele PolitikerInnen lieber vor den „Flutwellen von Wirtschaftsflüchtlingen“ und überbieten sich im Vorfeld der Sonderdebatte mit geschmacklosen Forderungen. Es ist Wahlkampf, und es ist das immer gleiche Spiel mit den Emotionen und Ängsten.

 

Sollaufruf

Gegen die Hetze und Panikmache von der SVP bis weit ins bürgerliche Lager hinein formierte sich im Vorfeld der Debatte im Nationalrat aber auch Opposition. So lancierten die vier Organisationen Solidarité sans frontières, der Solifonds, Kunst+Politik und die DJS den Aufruf „Nordafrika kämpft für Demokratie – die Schweiz muss sich solidarisch zeigen“. Diese Online-Petition unterschrieben innert vier Tagen rund 8000 Menschen und über 70 Organisationen, darunter viele Kulturschaffende wie Franz Hohler, Pipilotti Rist, Melinda Nadj Abonji oder Micha Lewinsky. „Viele Künstlerinnen und Künstler sind schlichtweg und einfach entsetzt darüber, dass Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf Kosten von Flüchtlingen Wahlkampf betreiben“, erklärt Guy Krneta vom Verein Kunst+Politik das klare Statement vieler Kulturschaffenden. Von der Wichtigkeit des Aufrufs ist Yvonne Zimmermann vom Solifonds ebenso überzeugt. „Es braucht jetzt unsere Solidarität mit den Menschen, die sich in nordafrikanischen Staaten unter Lebensgefahr für Demokratie, Gleichheit und Gerechtigkeit einsetzen. Es ist dringend, dass die Demokratiebewegungen unterstützt werden. Gleichzeitig darf den Menschen, die ihr Land verlassen wollen, nicht wie unter den Diktatoren die Ausreise Richtung Norden verweigert werden“, betont Yvonne Zimmermann.

 

Abschotten statt solidarisieren

Zwar fiel die Sonderdebatte im Nationalrat zur „Krise“ in Nordafrika angesichts der Katastrophe in Japan weniger gehässig aus als zu befürchten war, trotzdem machte das Schweizer Parlament einmal mehr klar, dass sie keine Sekunde daran denkt, ihre Vogel-Strauss-Politik gegenüber der migrationspolitischen Realität aufzugeben. Die Parole heisst abschotten, Luken zu und Flüchtlinge nicht willkommen heissen. Geht es nach den Plänen der offiziellen Schweiz, so sollen die Flüchtlinge direkt vor Ort in Lagern festgehalten und Schengen/Dublin rigoros durchgesetzt werden. Konkret bedeutet das nichts anderes, als dass auf die meisten Asylgesuche gar nicht eingetreten wird. Stattdessen sollen die Flüchtlinge möglichst rasch in das Land zurückgeschafft werden, woher sie in die Schweiz eingereist sind. Daneben soll das Grenzwachkorps personell verstärkt und notfalls gar die Armee an die Grenze gestellt werden, so einzelne Voten im Nationalrat. Die CVP und FDP drängt zudem darauf, dass Asylsuchende aus Ländern wie etwa Tunesien oder Libyen erst gar nicht auf die Kantone und Gemeinden verteilt, sondern das Asylverfahren gestrafft und in den Aufnahmezentren des Bundes abgeschlossen werden sollen. Für die Betroffenen bedeutet das vor allem ein trüber Alltag in einem entseelten Lager irgendwo im Nirgendwo. Mit wenig bis keinen Chancen einen legalen Aufenthaltsstatus zu bekommen.

Recht auf Bewegungsfreiheit

Für Catherine Weber von den Demokratischen JuristInnen Schweiz (DJS) ist klar, dass es so nicht geht. „Menschen die migrieren, um ihr eigenes Überleben und das ihrer Familien zu sichern, sind keine „Wirtschaftsflüchtlinge“, sondern Armutsflüchtlinge. Ihnen werden wesentliche Grund- und Menschenrechte vorenthalten. Zur Freiheit gehört auch das Recht auf Bewegungsfreiheit, das wir für uns als selbstverständlich in Anspruch nehmen“, betont Weber von den DJS. Ähnlich kritisch sieht es Hilmi Gashi von Solidarité sans frontières: „In Bezug auf das Recht der Bewegungsfreiheit ist es schlicht eine Frechheit, wenn wir hier aus der Ferne bestimmen wollen, was für die Menschen in den betroffenen Regionen nun das Beste sein soll“, so Hilmi Gashi von Sosf. Es zeigt sich einmal mehr: Das Boot ist und war schon immer voll, wenn es darum ging, Schutzbedürftige aufzunehmen. Für golfende Rennfahrer, greise Diktatoren und millionenschwere Scheichs wird sich aber auch in Zukunft weiterhin an bester Lage ein Plätzli finden lassen. Nichts Neues im Westen.

 

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