Arm und Reich: eine Frage des Lohnes

Armer Mann und reicher Mann Standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich. (Brecht 1968, 513)  

Eine Frage der Verteilung

Technisch betrachtet will die Initiative 1 zu 12 der Juso die Spanne zwischen dem tiefsten und dem höchsten Lohn in einem Verhältnis 1 zu 12 bringen. Der höchste Monatslohn in einem Unternehmen darf nur 12 mehr als der tiefste Lohn im gleichen Unternehmen betragen. Doch die Initiative ist in seiner Brisanz beinahe genial, weil sie durch die Thematisierung der Lohnspanne zwischen den tiefsten und höchsten Löhnen in einer Unternehmung, eine breite Diskussion zur Frage der gerechten Verteilung der gemeinsam erbrachten Leistungen thematisiert. Und davor hatte und hat die selbst ernannte Wirtschaftselite gehörig Angst. Denn plötzlich kommen Fakten auf den Tisch, die auch den Zusammenhang zwischen dem Lohn und der Armut bzw. dem Reichtum aufzeigen.  

«Die tiefen Löhne werden durch den Wegfall der Hochlöhne nicht steigen», steht in der NZZ (12.04.2013) geschrieben. Diese Aussage ist typisch: Anders als im Gedicht «Alfabet» von Bertolt Brecht will sie den Zusammenhang von Armut und Reichtum oder tiefen und hohen Löhnen gesellschaftlich tabuisieren und so verhindern, dass die Verteilungsfrage thematisiert wird. In einer Studie gehen Arlt und Storz (2013) diesem tabuisierten Zusammenhang nach. Die Autoren haben in deutschen Tages- und Wochenzeitungen untersucht, inwiefern die zwei Themen Reichtum und Armut verbunden, voneinander distanziert betrachtet oder gar tabuisiert werden. Dabei spielt die Wechselwirkung von Armut und Reichtum, die Verbindung von der Konzentration privatem Reichtum und privater und öffentlicher Armut kaum eine Rolle (Arlt/Storz, 2013, 7).Wenn es um Armut geht, kennen Journalistinnen und Journalisten oft nur zwei Akteure: das arme Individuum und den Staat. Unternehmen, die dafür verantwortlich sind, dass Arbeitende von ihrem Lohn allein nicht leben können, kommen in diesem simplen Armutsbild nicht vor. Reichtum dagegen wird als privates Ergebnis der Leistung Einzelner und nicht als etwas gemeinsam Erschaffenes wahrgenommen (Arlt/Storz 2013, 91). Wenn Armut durch die einen Faktoren und Reichtum durch ganz andere Faktoren bestimmt wird, nützte es den Armen nichts, wenn der Reichtum begrenzt wird, so eine häufige Argumentation. Damit soll verhindert werden, dass Fragen nach einer gerechteren Verteilung oder einer Umverteilung von Reichtum überhaupt aufgeworfen werden.  

Ein Tabubruch in der reichen Schweiz

Die 1:12- und die Mindestlohn-Initiative brechen dieses Tabu gemeinsam auf. Topmanager mit Höchstlöhnen beanspruchen einen beträchtlichen Teil der Lohnsumme, ohne einen entsprechenden Beitrag zum Ertrag des Unternehmens zu liefern. Beschäftigte mit Tieflöhnen haben eine schwache Stellung auf dem Arbeitsmarkt und werden daher weit unter ihrer effektiven Leistung entschädigt. Beide Phänomene sind miteinander verbunden. So gesehen hat Lohngerechtigkeit auch mit Leistungsgerechtigkeit zu tun.  

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